Interview: Prof. Dr. Cornelia Ulrich (DKFZ) zum Thema ASS

CorneliaUlrichEs häufen sich Mitteilungen in der Fach- wie in der Laienliteratur, dass ein seit über 100 Jahren bewährtes Medikament, die Acetylsalicylsäure, als Aspirin bekannt und als ASS in aller Welt erhältlich, bisher noch wenig bekannte, aber inzwischen immer besser verstandene zusätzliche Wirkungen hat. Die Stiftung LebensBlicke, die sich seit vielen Jahren in der Darmkrebsfrüherkennung engagiert, wird immer wieder mit Fragen nach ASS und ihrem Einfluss auf die Verhinderung der Krebsentstehung konfrontiert.


Der Vorstandsvorsitzende, Prof. Dr. J. F. Riemann (JFR), ist daher Frau Prof. Dr. Cornelia Ulrich (CU), Direktorin am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg und Leiterin der Abteilung Präventive Onkologie (G110) am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), sehr dankbar, dass sie als ausgewiesene Expertin für alle Fragen rund um Wirkungen und Nebenwirkungen von ASS in einem Interview Antwort auf die häufigsten Fragen gab.

JFR: Was ist dran, dass ASS vorbeugend gegen die Entstehung von Darmkrebs wirkt?

CU: Schon seit Jahrzehnten wissen wir aus epidemiologischen Studien und von Tiermodellen, dass ASS und vergleichbare Entzündungshemmer krebspräventiv wirken können. Es wurden auch klinische Studien durchgeführt, die gezeigt haben, dass ASS das Wiederauftreten von Polypen im Darm verhindern kann. In den letzten 2 Jahren sind nun noch sehr große randomisierte klinische Studien mit über 20.000 Teilnehmern dazugekommen, die gezeigt haben, dass die regelmäßige Einnahme von ASS das Krebsrisiko und die –mortalität, vor allem von Tumoren des Magen-Darm Trakts, erheblich reduzieren kann.

JFR: Wie ist diese Wirkung zu erklären?

CU: ASS und vergleichbare Medikamente hemmen die Prostaglandinsynthese und reduzieren damit das entzündliche Milieu. Entzündliche Prozesse wirken krebsfördernd, weil sie z.B. DNA Schäden hervorrufen können, aber auch das Wachstum eines Tumors und die Versorgung des Tumors mit Blutgefäßen fördern.

JFR: Für wen ist ASS zur Darmkrebs-Vorbeugung besonders geeignet oder ggfs. zu empfehlen?

CU: Mit Sicherheit sollte nicht jeder ASS nehmen. Fuer Menschen, die bereits Krebsvorstufen des Magen-Darmtrakts (vor allem kolorektale Polypen) hatten, könnte dies empfohlen werden. Genauso könnten ältere Menschen, die Risikofaktoren für Krebs haben (z.B. Übergewicht oder Bewegungsarmut, oder eine Familienanamnese) dies in Betracht ziehen. Eine Diskussion mit dem Arzt oder der Ärztin ist allerdings wichtig, vor allem auch um zu klären, ob es in der Familie bereits Unverträglichkeiten dazu gab.

JFR: Vor der Einnahme von ASS wird immer wieder wegen seiner gefürchteten Nebenwirkungen, vor allem der Magen-Darmblutung gewarnt. Andererseits nehmen viele Patienten mit Herzerkrankungen dieses Medikament über viele Jahre. Wie hoch ist das Risiko schwerer Nebenwirkungen wirklich?

CU: Das Risiko ist bei der Einnahme der empfohlenen Dosis von nur 100mg/Tag sehr gering. Allerdings gibt es auch Menschen, die empfindlich reagieren und bereits bei dieser niedrigen Dosis Nebenwirkungen zeigen können.

JFR: Ist die ASS-Wirkung abhängig von der Dosis bzw. kann eine solche Wirkung auch schon mit kleinen Dosen, z.B. 100 mg täglich erreicht werden?

CU: Die großen Studien bei über 20.000 Menschen haben gezeigt, dass in der Tat die Effekte bereits bei diesen geringen Dosen zu sehen sind und sich auch nicht mit höheren Dosen verbessern – eine regelmäßige Einnahme scheint wichtiger zu sein als eine höhere Dosis.

JFR: Wie lange müsste man ASS nehmen, um eine Wirkung zu erreichen und wann sollte man beginnen?

CU: Eine Expertenkommission befasst sich gerade mit dem Thema, um eindeutige Empfehlungen zu geben. Man weiß, dass aufgrund des langsamen Wachstums von Tumoren eine Langzeiteinnahme notwendig ist – denn die Unterschiede im Krebsrisiko zeigen sich erst nach 5-10 Jahren.

JFR: Was ist in der ASS-Forschung in Zukunft noch zu erwarten?

CU: Am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg arbeiten wir konkret an der Frage, ob es Menschen gibt, die aufgrund ihrer genetischen Veranlagung eher einen Nutzen von der ASS Einnahme hätten bzw. zu Nebenwirkungen neigen. Erste Daten zeigen, dass vor allem häufig vorkommende Mutationen in der Prostaglandinsynthese eine Rolle spielen. Wir gehen davon aus, dass wir diese Informationen bald im Rahmen einer „personalisierten Prävention“ für genauere Empfehlungen nutzen können. Herzlichen Dank für dieses aufschlussreiche Interview! Ihre Antworten helfen unseren Fragestellern in ihrer Meinungsbildung sicher weiter.

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