Aus der Praxis für die Praxis: Intervallkarzinome nach initialer Vorsorgekoloskopie in einer gastroenterologischen Gemeinschaftspraxis (GP). Wie oft? Was sind die Ursachen?
Hüppe D.* Felten G.* Hinz M.* von der Ohe M.* Wallner I.* Zemke J.* Tannapfel A.** (*Gastroenterologische Gemeinschaftspraxis Herne, **Institut für Pathologie Ruhr-Universität Bochum)
Fragestellung; Die Darmkrebsvorsorge mittels Koloskopie wurde im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) im Oktober 2002 eingeführt. Jeder beschwerdefreie Versicherte hat Anspruch auf 2 Vorsorgekoloskopien (VK) innerhalb von zehn Jahren ab dem 56. Lebensjahr. Dieses Programm ist effektiv. Als Indikator dafür gelten sinkende Morbiditäts- und Mortalitätszahlen des Kolorektalen Karzinoms in Deutschland (RKI). Werden innerhalb des Überwachungszeitraums (von zehn Jahren) nach Erstkoloskopie kolorektale Karzinome entdeckt, handelt es sich um sog. Intervallkarzinom (IK) Einige Veröffentlichungen sprechen auch von „Post-Koloskopie-Karzinomen“. Die internationale Diskussion setzt als Zeitrahmen für eine solche Charakterisierung eher 5 Jahre an.
Was sind die möglichen Ursachen für IK? In Deutschland fehlen dazu verlässliche Angaben, Weltweit werden folgende Hypothesen diskutiert:
- Übersehene Läsionen und Polypen durch mangelnde Qualifikation des Endoskopikers (geringe Adenomdedektionsrate), zu schnelle Rückzugszeit, schlechte Geräteausstattung, Darmverschmutzung, inkomplette Koloskopie.
- Inkomplette Entfernung von Läsionen und Polypen
- Schnelles und aggressives Wachstum neu entstandener Polypen oder De-novo-Karzinome.
Für Deutschland existieren keine validen Daten zur Prävalenz von IK und ihren potentiellen Ursachen.
Methode: In einer großen Gastroenterologischen Gemeinschaftspraxis in Herne (Ruhrgebiet) werden seit dem 1.10.2002 alle Vorsorgekoloskopien (VK) systematisch erfasst. Eine erste Auswertung erfolgte 2007.(Hüppe D, et al. ZFG 2008.). Bis dahin wurden 5066 VK dokumentiert und mit den im selben Zeitraum durchgeführten Indikationskoloskopien verglichen. Die Vergleichsgruppen unterschieden sich hinsichtlich ihrer klinischen Parameter (insbesondere Alter) nicht voneinander. Gleichzeitig werden alle Intervallkarzinome (IK) von denjenigen Patienten dokumentiert, die seit 2002 sich einer VK unterzogen haben. Aufgrund von Patientenbindung, einem Recallsystem sowie Netzwerkbildung, die auch Krankenhäuser der Regionen einschließt, schätzen wir, dass 75-90% aller IK ermittelt werden konnten. Die Charakteristika der IK werden mit denen in der publizierten Stichprobe (2008) aus der Praxis verglichen.
Ergebnisse: Zwischen dem 1.10.2002 und 30.6.2017 wurden in der Praxis 13568 VK durchgeführt. Aus statistischen Gründen werden hier nur GKV Versicherte erfasst. Dabei wurden bei 1501 (11,1%) Personen ein oder mehrere Adenome polypektomiert, bei 17.4% Patienten adenomatöse Polypensprossen biopsiert und 115 Karzinome (0.85%) festgestellt. Die Adenomdedektionsrate (ADR) beträgt insgesamt 28.5%.
Bei Kontrollkoloskopien wurden in diesen fast 15 Jahren bei 34 Patienten mit oder ohne Symptome ein IK (0.25%) identifiziert und behandelt. Bei 18 von 34 Patienten. wurde das IK innerhalb von fünf Jahren (24-60 Monate) nach der Indexkoloskopie entdeckt (0.13%), bei 16 zwischen 72 und 150 Monate (0.12%) (Tab. 1).
Bei 22 Patienten wurde das IK bei der nächsten Untersuchung entdeckt (Zeitraum Indexkoloskopie – Karzinomdiagnose 68 Monate = 5.8 Jahre (13-149 Monate). Bei 12 Patienten bedurfte es 1-5 weitere Untersuchungen bis zur Entdeckung IK (Zeitraum Kontrollkoloskopie – Karzinomdiagnose 48 Monate = 4.0 Jahre (6-144 Monate)). Die IK wurden im Rahmen von Kontrollen nach Adenomentfernungen, bei familiärem Darmkrebsrisiko oder bei der Abklärung von Symptomen gestellt (Tab. 2)
Bei 50% aller Patienten mit einem IK wurden Adenome bei der VK entfernt. Nur bei 26.5% fand sich der Tumor zum Zeitpunkt der Diagnose des IK im gleichen Segment, wo vorher ein Adenom entfernt worden war. (Tab3).
Obwohl genaue prognostische Daten nicht vorliegen, scheint die Prognose der von einem IK betroffenen Patienten ungünstig. Insgesamt wurde das IK in dieser Kohorte häufig in einem fortgeschrittenen Tumorstadium nachgewiesen (bei 35.3% im UICC-Stad. III und IV). Dennoch lebten am Untersuchungsende 22 von 34 Patienten bei einer mittleren Beobachtungszeit von 60.5 Monaten. Mehr als 50% der Verstorbenen war, soweit bekannt, nicht an den Folgen der Tumorkrankheit verstorben.
Vergleicht man die IK mit der Kontrollgruppe, werden signifikante Unterschiede deutlich: Alter (72.3 vs. 67.4 Jahre), familiärem Risiko (14.7 vs. 9.6%), Geschlecht (männlich: 56 vs. 39.5%), Lokalisation (prox. des Sigmas: 67.6 vs. 30.4%) und Adenomdektionsrate (47 vs. 28.5%). Der Anteil der schlecht differenzierten (G3-) Adenokarzinome an den IK ist mit 35% relativ hoch. (Tab. 4)
Zusammenfassung:
Unsere Daten unterstreichen die Bedeutung technischer Faktoren als Ursache der IK (inkomplette Polypektomie, übersehene Läsionen, Stuhlverschmutzen)
Allerdings deuten unsere Ergebnisse auch darauf hin, dass die IK eine unterschiedliche tumorbiologische Entstehung aufweisen könnten, da sich die Patienten signifikant im Hinblick auf Alter, Lokalisation, Tumorgrading und familiärem Risiko unterscheiden.. Diese phänotypische Beschreibung wird aktuell molekulargenetisch überprüft.
Grundsätzlich gilt, dass die Mitbürger, die zur Darmkrebsvorsorge kommen, auch darüber informiert werden sollten, dass eine Vorsorgekoloskopie keine absolute Garantie vor Darmkrebs in den nächsten fünf bis zehn Jahren bietet. Das Risiko, bei einer VK ein Darmkrebs zu entdecken, beträgt 0.8-1.3 %. Das Risiko, nach stattgehabter VK an einem IK zu erkranken, dürfte bei etwa 0.13% nach fünf und 0.25% nach zehn Jahren liegen. Damit wird das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, erheblich reduziert. Insbesondere Risikogruppen sollten sich deshalb einer früheren Kontrolle unterziehen.