Dietrich Hüppe: 16 Jahre Darmkrebsvorsorge zeigen Wirkung

2015-Dr. Dietrich HüppeAm 1. Oktober 2018 besteht das aktuelle Programm zur gesetzlichen Darmkrebsfrüherkennung 16 Jahre. Am 1.10.2002 trat es – grundlegend überarbeitet – in Kraft. Neben dem Stuhltest auf okkultes Blut (FOBT) wurde für alle Bürger über 55 Jahre die Vorsorgekoloskopie (=Früherkennungskoloskopie) erstmalig und damals weltweit einzigartig in die gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen. Was war die Grundlage der Empfehlung? Fall-Kontroll-Studien in der USA, insbesondere die der National Polyp Study unter Leitung von Sidney Winawer, hatten gezeigt, dass die Abtragung von Polypen (=Adenome =Darmkrebsvorstufen) bei einer Koloskopie die Entstehung von Darmkrebs um 70-90% in den nächsten Jahren reduzieren kann. Auch die Teilkoloskopie (Sigmoidoskopie) senkt die Rate von linksseitigem Darmkrebs. Diese Evidenz, aufbereitet durch ein Gutachten der DGVS (W. Schmiegel, C. Pox, J. Riemann), überzeugte den Gesetzgeber, dieses weltweit innovative Programm zu implementieren. Damit wurde die S3-Leitlinie zum Dickdarmkrebs aus dem Jahre 1999 (erstellt durch die DGVS, Deutsche Krebsgesellschaft und anderer wissenschaftlicher Fachgesellschaften) in die Tat umgesetzt. (Schmiegel W. Z Gastroenterol 2016;54:521-522)

Heute können wir feststellen: obwohl das Darmkrebsfrüherkennungsprogramm nur als opportunistisches Angebot implementiert wurde, nützt es. Die Morbidität und Mortalität des Darmkrebses sinkt. Daten aus dem Robert-Koch-Institut zeigen, dass die jährliche Inzidenz des Darmkrebses, die bis 2003 ansteigend war, seit dieser Zeit um ca. 14 % gefallen ist, d.h. ca. 40.000 Darmkrebstote konnten seit dieser Zeit vermieden werden. Die Arbeitsgruppe um Hermann Brenner aus Heidelberg konnte darüber hinaus kürzlich zeigen, dass aufgrund der Analysen der Ergebnisse der Vorsorgekoloskopien in den ersten 10 Jahren vermutlich bis zu 180.000 Karzinome durch diese Untersuchung verhindert werden konnten. (Brenner H, et.al Dtsch Arztebl Int 2016;113:101-106)

Die Einführung der Vorsorgekoloskopie hat zur erheblichen Verbesserung der Struktur- und Ergebnisqualität dieser Leistung beigetragen. So wurden Mindestmengen für Koloskopien und Polypektomien pro Zentrum festgelegt, regelmäßige, verbindliche Hygienekontrollen eingeführt und eine Verpflichtung zur Dokumentation der Untersuchung und der Ergebnisse einschließlich der Histologie auf einem standardisierten Formblatt vorgeschrieben.

Diese Untersuchungsergebnisse wurden und werden jährlich vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) erfasst und ausgewertet. Jedes Zentrum erhält einen Feedback-Bericht und kann die eigene Qualität mit der Gesamtkohorte vergleichen. Gleichzeitig bietet die Datenbank des ZI die weltweit größte Datenmenge zu den Ergebnissen der Vorsorge. Diese wurden und werden international publiziert. (Pox CP, et al Gastroenterology 2012;142:1460-1467). Die Ergebnisse zeigen: bei ca. jedem hundertsten Teilnehmer (0.9%) findet sich bei der Vorsorgekoloskopie schon ein manifestes Karzinom, bei 19,4% werden Darmkrebsvorstufen (Adenome) entfernt. Die Daten des ZI belegen gleichzeitig, dass die Untersuchung sicher ist und nur sehr selten ernsthafte Komplikationen auftreten. Diese Untersuchungen werden von regionalen Nachbefragungen bei Patienten oder Analysen von Krankenkassen gestützt.

Um die Akzeptanz der Untersuchung für Krankenversicherte zu erhöhen, haben die Untersucher den Komfort der Darmspiegelung durch Einführen einer Sedierung, zumeist mit Propofol, erhöht. Deshalb kann die Untersuchung schmerzfrei gestaltet werden. Manche Menschen leiden nach der Koloskopie an einem Blähbauch. Durch Einsatz von CO2-Gas bei der Untersuchung können die Beschwerden weitestgehend vermieden werden. Was noch fehlt ist die „gut schmeckende“ Lösung zur Darmspülung!

Wesentlich mit zur Akzeptanz der Darmkrebsvorsorge haben auch die Stiftung LebensBlicke um Prof. Riemann und die Felix-Burda-Stiftung unter Leitung von Frau Dr. Maar durch ihre kontinuierliche und unermüdliche Aufklärung von Bürgern und Motivation von Ärzten beigetragen. Stiftungen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Ihnen vertrauen Bürger bei der Beratung – trotz Medien und Internet – weiterhin am meisten.

Bis heute dürften sich > 25% der Anspruchsberechtigten einer Vorsorgekoloskopie unterzogen haben. Da es das erklärte Ziel ist, die Todesrate an Darmkrebs weiterhin zu verringern, muss die Teilnehmerrate an Vorsorgemaßnahmen erhöht werden. Deshalb wurde als Ergebnis des Nationalen Krebsplans schon 2013 das Krebsfrüherkennungs- und Registergesetz (KFRG) verabschiedet. Dieses sieht ein Einladungsverfahren für alle Versicherten zur Teilnahme an der Darmkrebsfrüherkennung vor. Eingeladen werden soll zur Beratung durch einen Arzt, zur Teilnahme an einem Stuhltest oder zur Vorsorgekoloskopie (dem sensitivsten Verfahren der Darmkrebsvorsorge!) Leider hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) das KFRG bis Mitte 2018 noch nicht in die Tat umgesetzt, obwohl der Gesetzgeber dies für 2016 gefordert hatte!

Dass eine Steigerung der Teilnahme an der Darmkrebsvorsorge durch ein Einladungsverfahren gelingen kann und effektiv ist, das haben verschiedene Pilotprojekte von Krankenkassen gezeigt. Die Teilnehmerrate konnte um 50-150% gesteigert werden mit der Folge: Darmkrebsvorstufen werden während der Koloskopie entfernt und – falls schon ein Darmkrebs festgestellt wird –  kann dieser z.T. direkt endoskopisch entfernt oder zumeist heilend operiert werden. (Hoffmeister M. et.al, Dtsch Ärztebl Int 2017; 114: 87-93, Stratmann K. et.al. Poster während des DGVS-Kongresses 2017 in Dresden)

Die Niederländer zeigen uns gerade, wie ein Darmkrebsvorsorgeprogramm effektiv gestaltet werden kann: durch ein Einladungsverfahren, bei dem direkt ein immunologischer Stuhltest (iFOBT) mit verschickt wird. Ca. 75% der angeschriebenen Versicherten haben den Stuhltest an Labors zurückgesendet. Alle Bürger mit positivem Ergebnis wurden zur Koloskopie eingeladen! (Toes-Zoutendijk E., et al, Gastroenterology 2017; 152:767-775)

Auch in Deutschland ist seit dem 1.4.2017 der iFOBT in die Regelversorgung eingeführt worden. Er verspricht eine höhere Sensitivität und Spezifität für Darmkrebsvorstufen und Frühformen von Darmkrebs als der bisherige Guajak-Test. Diese Neueinführung ist bisher noch nicht mit einem Einladungsverfahren oder einer Qualitätssicherung verbunden.

Erst am 19. Juli 2018 kam Bewegung in die Umsetzung des gesetzlichen Auftrags zur nationalen Implementierung eines Einladungsverfahrens. Der GBA beschloss nun ein systematisches Einladungsverfahren zur Darmkrebsvorsorge.  Die Richtlinie soll nach Genehmigung durch das Bundesgesundheitsministerium voraussichtlich zum 1. Oktober in Kraft treten – umgesetzt werden kann sie allerdings erst nach Abschluss einer neuen Vergütungsvereinbarung im EBM, für die KBV und GKV-Spitzenverband sechs Monate Zeit haben. Wirksam werden die Neuregelungen wahrscheinlich zum 1. Juli 2019.

Auf Basis neuerer wissenschaftlicher Daten hat der Bundesausschuss das Alter für anspruchsberechtigte Männer von 55 auf 50 Jahre gesenkt, das Alter der anspruchsberechtigten Frauen jedoch bei 55 Jahren belassen. Die Patientenvertreter im Bundesausschuss hatten eine Senkung des Alters auf 45 Jahre für Männer und 50 Jahre für Frauen gefordert. Dies wurde jedoch von den Bänken der Leistungserbringer (KBV, DKG) und der Kassen abgelehnt.

Im einzelnen sind dabei folgende Leistungen vorgesehen:

  • Männer und Frauen zwischen 50 und 54 Jahren haben einen jährlichen Anspruch auf einen immunologischen Test auf Blut im Stuhl.
  • Bei einem auffälligen Stuhltest besteht der Anspruch auf eine Abklärungskoloskopie.
  • Ansonsten haben Männer ab 50 einen Anspruch auf zwei Koloskopien im Mindestabstand von zehn Jahren. Wird das Angebot erst ab dem Alter von 65 Jahren wahrgenommen, finanziert die Kasse nur eine Koloskopie. Frauen haben einen Anspruch auf die Koloskopie ab 55 Jahren.
  • Männer und Frauen haben ab 55 Jahren einen Anspruch auf den iFOBT-Test alle zwei Jahre, sofern noch keine Vorsorgekoloskopie gemacht worden ist.

Ein familiäres Risiko hat in dem GBA-Beschluss keine besondere Beachtung gefunden. Entgegen der Forderung der Patientenvertretung wurde die besondere Berücksichtigung eines familiären Risikos für Darmkrebs nicht in die neuen Richtlinien aufgenommen.

Infolge des systematisierten Einladungsverfahrens erwartet der GBA-Vorsitzende Josef Hecken einen signifikanten Anstieg der Inanspruchnahme der Darmkrebsfrüherkennung. Derzeit liegt die Rate bei 12 bis 15 Prozent; aufgrund von Erfahrungen im Saarland sei eine Quote von 25 bis 35 Prozent zu erreichen. Hecken: “Ich hoffe, es wird richtig teuer” (zitiert die Ärztezeitung den GBA-Vorsitzenden).

Unzufrieden mit dem GBA-Beschluss sind die Felix-Burda-Stiftung und die Stiftung Lebenblicke. Deren Vorsitzende Dr. Christa Maar und Prof. Jürgen Riemann kritisieren, dass der GBA nicht der gemeinsamen Empfehlung der Fachgesellschaften gefolgt ist, der Einladung einen zertifizierten iFOBT und einen frankierten Rückumschlag beizulegen. Vorgeschlagen wurde, Anspruchsberechtigten eine Liste der zur Vorsorgekoloskopie zugelassenen Ärzte zur Verfügung zu stellen und sechs Wochen nach Einladung ein Erinnerungsschreiben zu schicken.

Es ist zu hoffen, dass es durch den GBA-Beschluss gelingt, ein Einladungsverfahren zu implementieren, das alle Bürger ausführlich über die Vorsorge berät und motiviert mit dem Ziel, einen Stuhltest oder eine Vorsorgekoloskopie durchführen zu lassen. Die Teilnahmerate, die Ergebnisse und der Outcome müssen in nationalen Datenbanken und Krebsregistern zusammengefasst und ausgewertet werden. Die kontinuierliche Effizienzmessung und die Anpassung des Vorgehens sind nötig zur Umsetzung des Zieles: die Mortalität an Darmkrebs zu minimieren.

In diesem Zusammenhang bleibt eine weitere Frage  offen: Wie können Bürger mit familiär bedingtem Darmkrebsrisiko besser angesprochen werden? Das Risiko für solche Menschen, selbst an Darmkrebs zu erkranken, ist gegenüber der Normalbevölkerung um das 2-4 fache erhöht. Der Berufsverband niedergelassener Gastroenterologen (bng) versucht dazu unter der Schirmherrschaft der Stiftung LebensBlicke ein personenbezogenes Projekt zu initiieren und wissenschaftlich auszuwerten. (ÄrzteZeitung, 30.06.2017, Beilage Innovations in Oncology X))

Dr. med. Dietrich Hüppe
Co-Sprecher Fachgruppe Kolorectales Karzinom des bng
Vorstand Stiftung Lebensblicke
c/o Gastroenterologische Gemeinschaftspraxis Herne
Wiescherstrasse 20
44623 Herne
Mobil: 01714648966
e-mail: hueppe.herne@t-online.de

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