Aspirin (ASS) wird seit langer Zeit als mögliches Medikament in der primären Prävention des Darmkrebses diskutiert. Bisher hat die deutsche S3-Leitlinie zum Kolorektalen Karzinom (KRK) unter Berücksichtigung von Vor- und Nachteilen eine allgemeine Empfehlung zur Einnahme von ASS nicht gegeben. Auch in der Aktualisierung der Leitlinie 2024 wird ein solches positives Votum nicht vorgenommen. „Eine aktuelle große US-Studie, publiziert in JAMA Oncology (*), liefert Anhaltspunkte, wem eine präventive Gabe von ASS nützen könnte“, kommentiert Dr. Dietrich Hüppe vom Vorstand der Stiftung LebensBlicke. Die Studie fasst unter Berücksichtigung von Lebestilfaktoren zwei Kohortenstudien zusammen: eine mit Frauen aus einer Studie von 121.700 Pflegerinnen, die ab 1967 beobachtet wurden und bei Studienbeginn zwischen 30 und 55 Jahre alt waren (Nurses’ Health Study, kurz NHS) und eine mit 51.529 Männern, die ab 1986 beobachtet wurden und zum Startzeitpunkt zwischen 40 und 75 Jahre alt waren (Health Professionals Follow-Up Study, kurz HPFS). Die Nachbeobachtungszeit ging bei beiden bis 2018. Die Teilnehmenden füllten alle zwei Jahre Fragebögen aus zu Ernährung, Lebensstil, Medikation, Erkrankungen und deren Verlauf inklusive KRK. Nach Aspirin-Einnahme wurde bei der NHS ab 1980 und der HPFS ab 1986 gefragt. Für die Analyse betrachteten die Autoren neben der Aspirin-Einnahme und Krebsinzidenz fünf verschiedenen Lebensstilfaktoren: den BMI, Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Aktivität und Ernährung. (Grafik: Strukturfomel ASS | Wikipedia)Die Inzidenz des KRK wurde durch Fragebögen, Sterbeurkunden, Krebsregister oder Befragung von Angehörigen ermittelt. Insgesamt lagen bei 107.655 Teilnehmenden Daten zur Analyse vor. Die Analyse der so neu gebildeten Kohorte zeigt, dass die Inzidenz von kolorektalen Karzinomen bei denjenigen, die regelmäßig Aspirin einnahmen, niedriger war, und zwar 1.98 Prozent versus 2.95 Prozent. Die absolute Risikoreduktion für diese Krebsformen war dann am größten, wenn der aus den Lebensstilfaktoren gebildete Score am ungesündesten war, und die Risikoreduktion wurde weniger, wenn der Score quasi gesünder wurde. Konkret betrug das 10-Jahres-Risiko bei einem Score zwischen 0 und 1 (ungesund) 1,28 Prozent versus 0,11 Prozent bei einem Score zwischen 4 und 5 (gesund). Unter den Einzelaspekten der Lebensstilfaktoren waren die größten Unterschiede des Einflusses von Aspirin bei Rauchen und BMI zu sehen.
Die Verfasser der Studien folgern aus der Analyse, dass nun mittels Identifikation der Lebensstilfaktoren bessere individuelle Empfehlungen ausgesprochen werden können, bei wem nach einer Risiko-Nutzen-Abwägung die Aspirin-Einnahme zur Krebsprävention zugunsten des Medikaments ausfallen könnte. Die Studie hat jedoch Limitationen. Es handelt sich um eine relative homogene Gruppen einer zumeist weißen USA-Bevölkerung, die im Gesundheitssektor arbeiten. Auch genetische Risiken wurden nicht erfasst. Es ist jedoch bekannt, dass die meisten kolorektalem Karzinome sporadisch auftreten. Positiv zu bewerten ist die Größe der Studie und die lange Beobachtungszeit.
(*) Originalpublikation: Sikavi DR, Wang K, Ma W, et al. Aspirin Use and Incidence of Colorectal Cancer According to Lifestyle Risk. JAMA Oncol. Published online August 01, 2024. doi:10.1001/jamaoncol.2024.2503.